2010/10/20

durchgespielt limbo

Minimalistisch, Dunkel, Unheimlich, Trostlos, Gefährlich, Schwarz - Allein diese Stichpunkte implizieren das Erlebnis Limbo, möchte man es in wenigen Worten versinnbildlichen. Aber das will der geneigte Spieler nicht. Er hat Redebedarf! In der Tat gehört Limbo zu den kleinen Spielen, die grosse Disskussionen entfachen. Ist es jetzt schon ein Klassiker? Ist es vielleicht mehr als ein Spiel? Ist Limbo gar Kunst? Für mich ist Limbo zeitgleich Kritik und zum anderen die logische Weiterentwicklung des 2D-Jump'n'Run Genres. Es ist das genaue Gegenteil eines auf Hochglanz polierten Grafikporno, das mit brachialer Gewalt und stumpfsinniger Story wirbt. Ein Held sieht aus wie der andere, der Schwierigkeitsgrad wurde für den DAS (=dümmster anzunehmender Spieler) programmiert, während Texturen fotorealistischer werden ohne jeden stilistischen Charakter. Wer davon genug hat und sich eine Auszeit gönnen möchte, der ist mit dem Xbox Live Arcade Titel Limbo mehr als gut bedient. Im folgenden erkläre ich, warum...

Limbo wirft den Spieler zu einer Zeit zurück, in der dieser noch Ernst genommen wurde! Und genauso spielt es sich auch. Nachdem die Start-Taste gedrückt wurde, schlüpft man direkt, ohne grosse Einführung, in die Rolle eines Jungens, der nur durch dessen Silhouette als solcher erkennbar ist. Zwei weisse Augen verleihen ihm menschlichen Charakter und auch seine Bewegungen erinnern an die eines Kindes. Er stapft durch Wald und Wiese, Industriegelände und Städte, um seine verschollene Schwester zu finden. Auf seinen Reisen löst der Protagonist Rätsel, weicht Fallen aus und springt geschickt über weite Schluchten. Dabei wechseln die Szenarien flüssig, als wäre das Abenteuer ein einzig grosses Level. Der Junge ist gerade mal so zu von der Umgebung zu unterscheiden, denn das ganze Spiel ist von Anfang bis Ende in Graustufen gehalten. Ein kriseliger Grafikfilter lässt zudem das Flair eines verstaubten 30er Jahre Schwarz-Weiss Films aufkommen. Um genauer zu sein, die eines Stummfilmes. Kein HUD (=Anzeigesystem), keine Musik. Bloss Soundeffekte, wie das Plätschern im Wasser oder das Laufen auf hartem Grund hallen gemächlich aus den Lautsprechern. Nur selten wird die angespannte Stille durch einen kurzen tiefen Ton einer Klaviertaste unterbrochen. Ganz, wie zu Zeiten des jungen Kinos, in der die Musik live von einem Orchester eingespielt wurde. Wenn die Musik ertönt, ist meist Gefahr im Verzug. Diese bewegt sich auf schleichenden Sohlen. Nicht selten sind die vielen Rätsel mit tödlichen Fallen gespickt, die man oft nicht beim ersten Mal durchschaut. Das geht sogar soweit, dass sich eine gewisse Paranoia entwickelt, weil einfach jedes Objekt eine Todesfalle darstellen kann. Recht früh im Spiel wird klar, dass Limbo mit dem Spieler spielt und nicht umgekehrt. Wie im guten Horrorfilm wird Sekunde für Sekunde eine Spannungskurve aufgebaut, die sich in einen unerwarteten Moment entlädt und den Herzschlag in die Höhe treibt. Ungelogen bringt Limbo mehr Schockeffekte mit sich, als die expliziten Horrorspiele der jetztigen Generation!

Dieses Bild fängt die Tristesse des Spiels schon sehr gut ein.
Vorsicht Bärenfalle! Hast du sie erkannt?
Limbo ist ganz und gar kein Kinderspiel! Es ist vielmehr so als würde man zusammengewürfelte Traumata eines Kindes, oder dessen Albträume durchlaufen, aus dem man auszubrechen versucht. Wie im Traum wirkt das Geschehen ziemlich echt und doch surreal. Spinnen, die allgemein als furchterregend gelten sind im Spiel überlebensgrosse Biester, die urplötzlich aus Bäumen oder Schluchten hervorkriechen. Morbider sind nur noch Kinderleichen im Wasser oder verstreute Torsi der besagten Spinnen. Gerade durch diesen minimalistischen Grafikstils und der Schwarz-Weiss-Optik wird die eigene Fantasie viel mehr gefordert, als bei ins kleinste Detail texturierte Polygonsubjekten. Und was im eigenen Kopf passiert ist stets gruseliger als jede grafische Darstellung. Limbo fordert sowohl Fantasie als Kreativität des Spielers und stellt diesen vor Grenzen, die es zu durchbrechen gilt. Die Spinne kann beispielsweise nicht aus sicherer Entfernung besiegt werden, sondern nur aus nächster Nähe! Auch die vielen Rätsel sind richtige Kopfnüsse. Wer meint Limbo mal eben so durchspielen zu können, der wird im Laufe der ersten Stunde eines Besseren gelehrt. Anfangs noch begegenen dem Spieler simple Flaschenzug- und Kistenverschieberätsel, die später darin münden, die Schwerkraft zu überlisten und Wasser in die richtige Bahnen zu lenken. Teilweise mit irrsinnigen Geschicklichkeitspassagen und tödlichen Fallen. Jedes der Rätsel fällt fair aus und kann mit Geduld und Hirnschmalz gelöst werden. Unüberlegtes Handeln führt zum Tod, allerdings sind die Rücksetzpunkte sehr gut platziert, sodass Frust eher selten aufkommt.

Dieser Tümpel will durchquert werden, aber wie?
Nach vier Stunden ist das schaurig-schöne Vergnügen vorbei. Danach geht es im Kopf weiter. Limbo lädt zum Nachdenken ein. Zur Interpretation. Zu Disskussion. Das Ende lässt den Spieler nüchtern und undankend zurück. Hier herrscht die Philosophie "Der Weg ist das Ziel". Man will den kleinen Jungen aus seinem Höllentrip befreien. Wobei Höllentrip als Synoym für den Titel Limbo recht gut passt. Limbo (Limbus) stellt in Dante Alighieris Werk "Eine göttliche Komödie", den ersten von neuen Höllenkreisen dar, in der alle Nichtchristen und Ungetauften verdammt werden. Alle, die nicht aus eigener Schuld heraus, in Sünde lebten und starben. Diese sind dann von ewiger Sehnsucht gepeinigt. Aber vielleicht ist mit Limbo auch der altbekannte Tanz gemeint, der von Runde zu Runde schwieriger gestaltet und nur durch geschicktes Handeln gemeistert wird. Würde ebenfalls passen. Ich kann jedem Xbox-Besitzer lediglich diesen Exklusivtitel empfehlen. Limbo ist neu. Limbo ist anders. Limbo ist faszinierend!

 

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