2010/10/31

heimlich verliebt: resident evil 4

Irgendwo in Spanien liegt ein unscheinbares Dorf von Wäldern umhüllt. Sepiatöne untermalen die Umgebung. Der Wind pfeift zwischen den Rillen der Gewächsen und wirbelt die wild verstreuten Blätter umher. In der Ferne sind Hütten zu vernehmen, Brücken und Tore. Allesamt wie aus einer alten Zeit entsprungen in die heutige Gegenwart. Hin und wieder hört man Geräusche. Die eigenen Schritte, fliegende Krähen, das Plätschern eines Flusses. Sogar Geflüster. Ein unheimliches Schaudern tut sich auf. Erst recht, wenn man die Sprengfallen entdeckt, die zwischen den Bäumen angebracht sind, sowie Bärenfallen im Dickicht. Allerdings wirken die nicht angedacht, um Tiere zu schnappen, sondern unwillkommene Besucher, wie Leon Scott Kennedy, US-Agent im Auftrag, die entführte Präsidententochter zu retten, die hier kürzlich gesichtet wurde. Doch was mit einer Rettungsmission beginnt, entwickelt sich zu einem Wettrennen um's nackte Überleben, denn scheinbar mischen hier mehr Spieler mit als es dem Entführer recht ist. Und dieser setzt alles daran, dieses Spiel für sich zu entscheiden...

Resident Evil 4 warf beinahe alles über den Haufen, das die Serie bis zu diesem Teil prägte. Vorbei sind die Zeiten der fixen Kameraperspektiven, langsamen Zombies und auf diese abgezählte Munition. Der chronische Widersacher Umbrella Corporation ist pleite und existiert nicht mehr. Der subtile Horror ist der adrenalingeschwängerten Panik und brutaler Action gewichen. Auch das Setting wirkt noch ungewöhnlicher und femdartiger als die bisherigen städtischen Schauplätze mit realen Bezügen. Allerdings brachten diese Neuerungen frischen Wind in die Serie und bliessen das technisch, wie auch spielerisch angestaubte Gameplay der Vorgänger weg. Denn Resident Evil war bis dato einer Stagnation ausgesetzt und dem Fehlen von Innovationen. Doch wie der erste Teil das Genre des Survival-Horrors begründete, so entwickelte sich Resident Evil 4 zu einem neuen Genre, auf das Spiele der heutigen Generation aufbauen. Dem Survival-Shooter. 

Leon S. Kennedy, geprägt durch die Ereignisse aus dem zweiten Teil, ist nun hochrangiger US-Agent. Noch ahnt er nicht, dass ihn bald seine Vergangenheit aufholt...
Schon der erste Dorfbewohner will uns mit seiner Axt an den Kragen. Was ist hier los?
Was ist neu? Die offensichtlichste Neuerung ist das Gameplay. Aus der Schulterperspektive heraus steuert sich Leon, auch durch dank der zeitgemäßeren Steuerung intuitiver und vor allem menschlicher. Inzwischen muss der Charakter nicht mehr in die Richtung gedreht werden, die der Spieler einschlagen will, sondern kann sich direkt dorthin begeben. Per Knopfdruck kann gerannt und eine 180° Drehung vollzogen werden. Im Zielerfassungsmodus zoomt die Kamera näher an Leon heran und sorgt so für einen grösseren Ausschnitt des Geschehens. Serientypisch schlägt der Charakter dabei Wurzeln und kann sich beim Schiessen nicht bewegen. Dies ist aber nicht weiter tragisch sondern verstärkt das Gefühl der Beklommenheit und dem sprichwörtlichen "Rücken zur Wand". Denn im Gegensatz zu den Vorgängern erwarten euch keine vereinzelt gestreuten Zombies, an denen Leon vorbeilaufen kann, sondern gleich eine ganze Meute an mordslustigen Dorfbewohnern. Nicht selten tauchen sie in Scharen auf und arbeiten kooperativ zusammen, um den Spieler in die Breduoille zu bringen. Mit Mistgabeln, Äxten und gar Kettensägen greifen sie an. Sie stellen Leiter auf, durchbrechen Türen und springen durchs Fenster, wenn sich Leon in eine der Hütten versteckt. Recht früh wird dem Spieler erkenntlich gemacht, dass kein Platz wirklich sicher ist. Schneller, stärker, bösartiger sind die neue Generation der Zombies, die in Wirklichkeit keine sind. Was genau hinter ihrer Bessessenheit steckt, wird Leon erst im Laufe des Spiels ersichtlich.

Der Kettensägenmann ist nicht nur schnell zu Fuss, sondern robuster gebaut als die Anderen.
Der El Gigante dürfte wohl als prominentenster Widersacher in RE:4 durchgehen
Aber auch Leon hat seit seinem Auftritt in Resident Evil 2 dazugelernt. Gemäß nach dem Motto "was die Dorfbewohner können, kann ich schon lange!", wirft er per Knopfdruck Leiter um, springt durch Fenster, verschiebt Schränke vor Türen und springt über Zäune bzw. Barrikaden. Auf einmal gewinnt die Umgebung an viel mehr Interaktivität als bisher. Dieses Feature bringt eine taktische Komponente mit, die in anderen Spielen viel zu selten genutzt wird. Bewegt sich Leon geschickt genug, kann er sogar hinterrücks Dorfbewohner ausschalten ohne Aufmerksamkeit zu erzeugen. Wird er dennoch erwischt, warnt jener Dorfbewohner die anderen und hetzt seine Leute auf dich. Die künstliche Intelligenz der Gegner ist seinerzeit geradezu revolutionär gewesen. Man hat das Gefühl, es mit lebendigen und denkenden Gegenspielern zu tun zu haben. Die Dorfbewohner kommen frontal auf dich zu, von der Seite oder von hinten und weichen deiner Schusslinie aus. Kommt dir einer dieser Hinterwäldler doch zu nahe kann ihn Leon mit einem getimten Tritt zurückwerfen. Durch dieses raffiniert durchdachte Gameplay gestaltet sich jede Auseinandersetzung anders. Langeweile ist dem Spiel fremd und kontert mit einer Vielzahl an Gegnermodellen, Schauplätzen, Waffenarten und Zwischensequenzen mit Quick-Time-Einlagen. Heutzutage schon nervig, waren diese Reaktionsmomente noch ein frisches Highlight. Hin und wieder kommt Leon an Passagen vorbei, die solche Quick-Time-Events vorweisen, wie z.B. ein plötzlich rollender Felsbrocken, der ausgewichen werden muss, indem die eingeblendete Taste(nkombination) schnell ausgeführt wird. Diese Schockmomente sind in etwa das Pendant zum Cerberus aus dem ersten Teil, der aus dem Fenster gesprungen kam. Ein weiteres dieser Qick-Time-Events ist in einem akrobatisch inszenierten Schwertkampf verbaut, der ein hohes Maß an Konzentration abverlangt und den Adrenalinpuls steigen lässt als wär man persönlich darin verwickelt. Ein wahrer Magic Moment!

Selbst nach einem Kopfschuss mutieren einige Dorfbewohner, aus dessen Haupt eine pflanzenartige Klinge spriesst und Leon aus weiter Distanz erschlägt.
Beim Laden der Waffe ist Leon schutzlos den Axtwürfen und Griffen der Dörfler ausgesetzt.
Eine umstrittene Komponente in Resident Evil 4 ist die Integration von Ashley, besagte Präsidententochter, die man recht früh im Spiel trifft. Sie hebt den Schwierigkeitsgrad enorm an, denn sie ist den Umständen zufolge ein wehrloses Mädchen, das beschützt werden muss. Ist sie tot, scheitert eure Mission und ihr dürft von neuem beginnen. Nervig ist sie allemal, da sie sich unheimlich gerne kidnappen lässt oder in offensichtlich gelegten Fallen tritt. Ashley unversehrt von Punkt A nach B zu chauffieren ist echte Arbeit! Allerdings bleibt sie nicht immer an eurer Seite sondern wird storybedingt über längere Szenarien hinweg verschleppt und wartet sehnsüchtig auf eure Rettung. Was genau es mit Ashley auf sich hat bleibt erst unter Verschluss. Soviel sei verraten, dass sie der Schlüssel für die Los Illuminados darstellt, um die Welt zu unterjochen. Saddler, der Sektenführer ist ein charmanter und ebenso überheblicher Gegenspieler, der scheinbar übermenschliche Kräfte besitzt aber selber nur selten die Finger schmutzig macht. Er lässt lieber seinen Untergebenen die Drecksarbeit machen, wie den gespenstisch aussehenden Bürgermeister oder Schlossherr Salazar, der eine gewisse Antipathie in mir erweckt hat, trotz oder wegen seiner gestörten Person. Im Hintergrund agiert Leons alte Bekanntin Ada Wong, eine Spionagin, von die er dachte, sie sei längst tot. Allerdings beruht das auf Gegenseitigkeit. Adas wahre Absichten behält sie bis zum Schluss für sich, greift aber gelegentlich ins Geschehen ein, um Leon zu retten, manchmal aber nur zu ihrem Vorteil. Zwischen Leon und Ada herrscht eine besondere Verbindung, die Spieler des zweiten Teils bestätigen können. Daraus ergeben sich sehr unterhaltsame Begegnungen, die den Spielfluss etwas auflockern. Weiterhin ist da noch der mysteriöse Spanier Louis Sera, der ebenfalls ein Doppelleben zu führen scheint und ein weiterer alter Bekannter von Leon. Die Charaktere im Spiel, ob gut oder böse sind gefüllt mit Details und Substanz. Jeder hat seinen oder mehrere grosse Momente, sodass die Entwicklung der Charaktere mehr von der Story ausmachen, als der eigentliche Plot. Bis auf Umbrellas Untergang werden alle Fragen beantwortet, die sich im Laufe des Spiels stellen. Und das sind nicht wenige!


In der Dorfkirche trifft Leon erstmals auf Ashley und den ominösen Sektenführer Saddler.
Leon kann es kaum fassen. Die tot geglaubte Spionion Ada Wong ist wieder im Einsatz.
Ebenfalls überarbeitet wurde das Inventarsystem. Jedes Objekt verbucht einen für sich verhältnismässigen Platz in Leons Koffer. Grafisch ist die Staumenge in Quadraten unterteilt. Je mehr Quadrate ein Objekt also benötigt, umso weniger Platz ist für anderes Zeug vorhanden. Wichtige Schlüsselelemte, wie Karten, Embleme und Schätze erhalten eine eigene Ordnung, sodass der Spieler nicht mehr aus Versehen, Objekte wegwirft, die im späteren Verlauf unabdingbar sind. Damit sind Rätsel gemeint, die allerdings in selteneren Intervallen vorkommen, als bisher. Meistens beschränken sich diese auf das Finden von Objekt A, kombiniere es mit Objekt B und platziere es auf einen Sockel, um Abschnitt C zu öffnen. Kopfnüsse gibt es nicht. 

Leons Koffer bietet grosszügigen Stauraum für allerlei Equipment.
Abwechslung bietet Resident Evil 4 mehr als reichlich. Die vielen Übergänge und selten eingesetzte Backtracking sorgen für einen flüssigen Spielablauf. Jeder Schauplatz hat eigene Highlights, wie das riesige Seemonster, das Leon auf einem Boot mitschleift oder die Szene in einer Hütte, in der mehrere Wellen von Dorfbewohnern zu durchstehen gilt. Leider verpulvert das Spiel die besten Ideen bereits im Dorfabschnitt. Das darauffolgende Schloss und die Insel können auch mit Magic Moments aufwarten, allerdings nicht mehr so intensiv, wie zu Beginn des Spiels. Dennoch wird man gut unterhalten, vor allem optisch. Noch heute könnte Resident Evil 4 als schlechtes HD-Spiel durchgehen. Die Texturen sind detailiert, die Bewegungsanimationen der Charaktere wirken lebendig und schöne Feuer- und Partikeleffekte runden das Grafikspektakel ab. Ebenso klasse ist die Soundqualität. Am Geräusch kann der Spieler erkennen, ob Leon gerade auf festen, weichen oder nassen Untergrund schreitet. Türen knarzen, Wasser sprudelt, Flammen knistern, Explosionen donnern rein, wie im wahren Leben. Auch Leons Waffen wurden individeull vertont und geben dem Spieler ein realistisches Feedback. Ein weiteres Lob geht an die Sprachausgabe, die professionell und filmisch rüberkommt. Leon mimt den coolen Cowboy, mit der lockeren Zunge, während Saddler einem Gentleman gleicht und sich passend herablassend ausdrückt. Auch die Dorfbewohner sprechen, logischerweise, spanisch und kommunizieren miteinander, wobei die Sektenmitglieder sich flüsternd ausdrücken. In den deutschen Untertitel geht einiges an Wortwitz verloren, bleibt aber verständlich. Leon erhält in den Dialogen immer einen Hinweis oder Hilfe, sodass sich der Spieler nicht verloren fühlt oder sich fragt, warum er jene Handlung betreibt. Notfalls steht ihm Partnerin Cunnighan per Funk zur Seite, die ihn mit Hintergrundinformationen füttert.

Im weitläufigen Schlossareal geraten Leon und Ashley in ein Hinterhalt nach dem anderen.
Aus den altbekannten Cerberussen spriessen Tentakel aus deren Rücken.
Resident Evil 4 erlaubt sich keine Schlamperei. Tearingeffekte, Slow-Downs oder gar Aussetzer sucht man hier vergebens. Stattdessen erwartet den Spieler ein fesselndes Erlebnis mit Wendungen, Witz, Charme und coolen Charakteren mit Hollywoodflair. Erbsenzähler bemängeln die Linearität, Weichlinge die exzessive Brutalität. Wem das nicht ausmacht, dem kann ich Resi 4 nur wärmstens empfehlen. Am Besten auf der Wii Konsole, die technisch am ausgereiftesten ist und durch die sehr gut eingesetzte Bewegungssteuerung profitiert. Danke für lesen!

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